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Ein Wandel auf Hochtouren
Die Entwicklung in den letzten 30 Jahren
„Bäume roden und Probus säen!“ Kein Werbespruch wie jener der alten Weizensorte Probus verdeutlicht die Prägung der Landwirtschaft der 80er Jahre besser. Lebensmittel produzieren, und zwar mit Vollgas. Das belastete die Umwelt. Zudem führten die Kontingente, sowie die Preis- und Absatzgarantien zu einer starken staatlichen Abhängigkeit. Politische Massnahmen formten die Schweizer und somit auch die Reigoldswiler Landwirtschaft neu. Heute ist sie konkurrenzfähig, denkt unternehmerisch und produziert ihre Lebensmittel nachhaltig.
Die Agrarpolitik und ihre Auswirkungen in Reigoldswil
Bereits die Kleinbauerninitiative von 1985 machte deutlich, dass sich ein Teil der Schweizer Bevölkerung eine kleinstrukturiertere und naturnähere Landwirtschaft wünschte als die bisherige. Die globale Entwicklung zeigte in eine andere Richtung. Der stetige Druck aus dem In- und Ausland führte schlussendlich zu einer umfassenden Agrarreform. Die Ziele waren mehr Markt, mehr Ökologie und eine sozialverträgliche Entwicklung. Preis- und Absatzgarantien gehörten der Geschichte an oder wurden, wie bei der Milch, schrittweise reduziert. Die Produzentenpreise sanken rapide. Für einen Liter Milch, welcher im Jahr 1992 noch 107 Rappen galt, erhielt ein Bauer im Jahr 2016 noch 55 Rappen, also nahezu die Hälfte. Einkommensergänzend wurden 1993 die Direktzahlungen eingeführt. Sie entschädigen nicht markttaugliche Leistungen wie die Landschaftspflege und die Biodiversitätsförderung. Mit den Änderungen im Marktbereich sollte das unternehmerische Handeln und somit die Wettbewerbsfähigkeit gestärkt werden. Das hatte trotz politischer Rahmenbedingungen, welche einen sozialverträglichen Wandel zum Ziel hatten, für einige Reigoldswiler Bauernbetriebe die Stilllegung zur Folge. Während Reigoldswil in der Mitte des 20. Jahrhunderts noch über 100 Betriebe zählte, reduzierten sich diese bis 1980 auf ungefähr 50. Von den aktuell 20 Höfen, werden drei als Hobbybetriebe, drei im Nebenerwerb, zwei als Dienstleistungsbetriebe und nur noch zwölf als lebensmittelproduzierende Haupterwerbsbetriebe geführt.
Wie ein gutes Dutzend dem Bauernsterben trotzte
Rund ein Dutzend Bauernbetriebe haben sich dem Strukturwandel in Reigoldswil angepasst oder ihn sogar zu ihrem Vorteil gemacht. Die heute bestehenden Betriebe konnten sich durch den Strukturwandel entwickeln und in den meisten Fällen wachsen. Die Alternative zum Wachstum war die Spezialisierung und die Diversifizierung, so wie sie in der Reigoldswiler Landwirtschaft nahezu musterhaft praktiziert wird.
Kutschen fahren, Schnaps brennen und Kühe melken
Die Angebote reichen von Ausbildungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche wie die Bauernhofspielgruppe auf der Gorisen oder dem Angebot «Bim Buur in`d Schuel» auf der Unteren Bütsche über agrotouristische Angebote wie Kutschenfahrten vom Reitbetrieb Ryfenstein oder das Angebot «Schlafen im Stroh» auf dem Hof Grien. Die Seilern investierte mit einer Photovoltaikanlage in die Energieproduktion. Die Bürte richtete sich auf die Pferdepension mit Jung- und Altpferden aus. Während sich die Niestelen auf die Obstproduktion und die Spirituosenbrennerei spezialisierte, verkauft der Betrieb Hoggen sein Rindfleisch in einem Hofladen und die grosse Marchmatt beliefert mehrere Basler Gastrobetriebe mit frischer Biomilch. Die Behauptung, Reigoldswiler Bauernbetriebe seien innovativ und kreativ, ist also keineswegs weit hergeholt.
Weniger Belastung, mehr Vielfalt
Nebst einer innovativen Betriebsführung förderte die Politik auch eine nachhaltige Bewirtschaftung. Der im Jahr 1999 eingeführte ökologische Leistungsnachweis (ÖLN) erhöhte die Anforderungen an die Landwirte massgeblich. Er umfasst die Einhaltung des Tierschutzgesetzes, eine Bilanzierung der Düngemittel, eine geregelte Fruchtfolge, den gezielten Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und einen geeigneten Bodenschutz zur Reduktion von Bodenerosion und der Auswaschung von Nährstoffen. Zudem müssen sieben Prozent der Betriebsfläche extensiv bewirtschaftet werden. Diese Anforderungen, welche eine Bedingung für den Erhalt von Direktzahlungen sind, werden von vielen Reigoldswiler Betrieben übertroffen. Einige erreichen sogar eine ökologische Ausgleichsfläche von über 20 Prozent.
Die Gemeinde als grösste Landeigentümerin
Für manchen Reigoldswiler Bürger waren die zwei zugeteilten Weidteile von je 18 Aaren eine wichtige Existenzgrundlage. Als die Heimposamenterei rückläufig wurde und die Menschen einen besseren Verdienst in der Industrie und im Gewerbe fanden, wurden die Weidteile, auch Lose genannt, den verbleibenden Bauern zur Bewirtschaftung überlassen. Da die Betriebe zu dieser Zeit unterschiedlich gut mechanisiert waren, entstanden sehr ungleiche Pachtverhältnisse. Während viele kein Bürgerland pachten konnten oder wollten, bewirtschafteten andere bis 25 Hektaren. Diese Ungleichheit führte, zusammen mit der neuen Landwirtschaftspolitik, vermehrt zu Unstimmigkeiten zwischen den Landwirten und der Gemeinde. Mit der Verteilung des Bürgerlandes vom Eichenhof konnten im Jahr 2020 ausgeglichene Pachtverhältnisse realisiert werden.
Quellen: Zahlen zu den landwirtschaftlichen Betrieben von Reigoldswil, LZ Ebenrain, Brigitte Marti (Datenerhebung 2021)
Die Schweizer Landwirtschaft im Aufbruch, Bundesamt für Landwirtschaft (BLW)
Beitrag Heimatkunde Reigoldswil zum Thema Landwirtschaft von Yannick Steffen, verfasst im Februar 2023