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Interview mit Obstbauer Hansruedi Wirz

Rund um den Hof Niestelen stehen mehrere tausend Bäume. Bewirtschaftet werden sie von Hansruedi Wirz und Familie. Als einziger verbliebener Obstbauer von Reigoldswil berichtet er über den Rückgang der Hochstammbäume, die heutigen hohen Anforderungen an Tafelfrüchte und die schönsten Momente im Leben eines Obstbauern.    

Yannick Steffen: Die bekannten Niestelen-Spirituosen erhielten in den letzten Jahren viele Auszeichnungen. Was macht den guten Schnaps aus und weshalb hast Du bereits in jungen Jahren auf den Obstbau und die Brennerei gesetzt?

Hansruedi Wirz: Heute muss ein gutes Destillat aromatisch und mild sein. Dazu braucht es gute Rohstoffe und moderne Brenntechnik. Unsere Eltern haben bereits Anfang der 60er-Jahre die Milchwirtschaft aufgegeben und auf Obstbau und Schweinezucht umgestellt. Ich bin also mit dem Obstbau aufgewachsen und habe ihn kontinuierlich weiter ausgebaut. 1992 begannen wir mit dem Aufbau einer gewerblichen Brennerei, bereits ein Jahr später konnten wir die Lohnbrennkonzession der Brennerei Recher in Ziefen erwerben. 1999 kam der dritte Brennhafen dazu. Und 2013 wurde die Brennerei rundum erneuert.

Du warst einst ein waschechter Reigoldswiler «Buurebueb». Welche Erinnerungen hast Du an die Reigoldswiler Landwirtschaft Deiner Jugendjahre?

Ich brauchte keinen Berufsberater. Bereits als kleiner «Bueb» war für mich klar, dass ich einmal Bauer werden will. Ich war immer auf dem Hof unterwegs, zusammen mit dem Vater, der Mutter oder den Geschwistern. Erinnerungen an den «Heuet» sind mir immer noch präsent – damals gab es übrigens noch keine Ladewagen. Da wurde von Hand geladen und ich durfte mit 6 Jahren den Traktor fahren! Die Weihnachtsgeschenke machte unser Vater oft beim Schreiner im Dorf, beim «Bütsche Jogi». Das waren hölzerne Traktoren, Viehwagen oder Ställe. Ich hatte eine schöne und unbeschwerte «Buurebueb-Zyt».

Hochstammbäume prägten früher das Landschaftsbild von Reigoldswil. Inzwischen sind viele von ihnen verschwunden. Was sind die Gründe?

Der Rückgang der Hochstammobstbäume hat mehrere Gründe. Die gesamte Landwirtschaft hat sich in den letzten 60 Jahren grundlegend verändert. Die Betriebe haben sich spezialisiert und mechanisiert. Der Obstbau ist nach wie vor arbeitsintensiv. Die Qualitätsanforderungen sind laufend gestiegen und die Lieferzuverlässigkeit musste gewährleistet werden. Die Umstellung auf wirtschaftlichere Niederstammkulturen wurde beim Kernobst schon in den 60er-Jahren umgesetzt; beim Steinobst dauerte es bis anfangs der 90er-Jahre. Kleine Bäume, die rasch in den Ertrag kommen und eine hohe Ernteleistung erbringen müssen mit Witterungs- und Insektenschutz sowie mit Bewässerungen ausgerüstet sein. Hätte diese Remontierung damals nicht stattgefunden, würde der Kirschen- und Zwetschgenanbau im Baselbiet keine Rolle mehr spielen.

Intensiv genutzte Äcker, Wiesen und Obstanlagen wirken sich negativ auf die Biodiversität aus. In den letzten Jahrzehnten sind in unserer Region 50 % der Kulturlandvögel verschwunden. Die Hauptgründe sind eine knappe Nahrungsgrundlage mangels Insekten und fehlender Lebensräume wie Hecken, Bäume und Blumenwiesen. Besteht aus Deiner Sicht Handlungsbedarf? Oder wird der Naturschutz im Vergleich zur Ernährungssicherheit überbewertet?

Es ist längst nicht nur die Landwirtschaft, die für die Veränderung in unserem Lebensraum verantwortlich ist. Ich empfinde unsere Landschaft nicht als ausgeräumt. Für mich ist entscheidend, was ich sehe und höre – aber man muss offene Augen haben und darf keine Stöpsel in den Ohren haben!
Wenn ich beim Obstbau bleibe, haben wir bereits in den 70er-Jahren die «Integrierte Produktion» vorangetrieben. Dabei müssen wir beispielsweise Ökoflächen nachweisen. Wir setzen Verwirrungstechnik ein, Insektennetze, Nützlinge usw. Der Schutz unserer Kulturen ist aber wichtig, «Food Waste» will man vermeiden. Die Bevölkerung wächst und will ernährt werden.

Du produzierst Tafelfrüchte verschiedener Obstsorten. Damit sie den Anforderungen des Handels entsprechen, ist der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln wichtig. Wie reagierst Du auf Kritik von Natur- und Umweltschützern?

Unsere Früchte verkaufen wir über den Handel, aber auch an Privatkundschaft.
Die Leute sind begeistert, wenn sie schöne, gut schmeckende, frische Früchte kaufen können. Die Kundschaft darf von einem Produkt nicht enttäuscht werden, sonst kauft sie nicht ein zweites oder drittes Mal.
Das Thema Pflanzenschutzmittel wird uns in Zukunft weiter beschäftigen; aber ganz darauf verzichten werden wir nicht können, sonst geht in der Schweiz die Produktion zurück und die Importe werden zunehmen. Die Pflanzenschutzmittel haben sich in der Vergangenheit verändert und werden sich weiterentwickeln. In unserem Betrieb machen wir 90 Prozent der Behandlungen ausserhalb des Bienenflugs. Wichtig zu wissen ist auch, dass nicht jedes Mal, wenn der Obstbauer mit der Baumspritze unterwegs ist, Insektizide oder Fungizide gespritzt werden; oft spritzt man heute auch pflanzenstärkende Produkte (z.B. Algenprodukte) oder Blattdünger und Spurenelemente.
Die Landwirtschaft hat nach wie vor einen wichtigen Auftrag zu erfüllen: nämlich unsere Bevölkerung mit gesunden Nahrungsmitteln zu versorgen. Für eine gesicherte Landesversorgung wird die produzierende Landwirtschaft immer eine wichtige Rolle spielen. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung schätzt unsere Produkte und weiss um den Wert unserer Arbeit. Kritiker und Besserwisser wird es aber immer geben, damit müssen wir leben.


Hansruedi Wirz

Welches waren die grössten Herausforderungen in der Obstbaubranche während Deiner beruflichen Laufbahn? Gibt es Momente, in denen Du solche Probleme vergessen kannst?

Als ich im Jahr 2000 das Präsidium des Produktezentrums «Kirschen / Zwetschgen» vom Schweizer Obstverband und Swisscofel übernahm, sagte ich in meiner Antrittsrede:
«Ich will den Steinobstanbau vom Breitensport zum Spitzensport entwickeln.»
Zusammen mit der ganzen Branche ist uns das zu einem grossen Teil gelungen mit neuen Unterlagen, neuen Sorten, neuen Preissystemen, Bewässerungen, Witterungsschutz und totaler Einnetzung gegen die Essigfliege. Aber auch auf Stufe Handel wurden viele Anstrengungen unternommen. Die Kühlkette wurde verbessert sowie Sortier- Kalibrier- und Abpackmaschinen installiert. Hinzu kommen der Kampf um gute Verkaufsplätze beim Detailhandel, Qualitätsstrategien usw. Die Wertschöpfung wurde massiv gesteigert, gleichzeitig stiegen aber auch die Investitionskosten.

In jüngster Vergangenheit war das Jahr 2017 mit den schweizweit verheerenden Frostschäden einschneidend. Dann kamen die Kirschessigfliegen. Belastend für die Obstbauern war sicher die Pestizid-Initiative. Sie wurde zum Glück abgelehnt, aber trotzdem wird die Situation rund um den Schutz unserer Bäume und Früchte immer schwieriger. Wir müssen hohe Qualitätsansprüche erfüllen und kämpfen mit einer sehr grossen ausländischen Konkurrenz im Früchtesektor. Demgegenüber stehen aber immer weniger wirksame Pflanzenschutzmittel zur Verfügung.

Trotzdem: Obstbauer ist und bleibt ein schöner Beruf. Was ich besonders liebe, sind die Jahreszeiten – jede ist für mich einzigartig. Ich kann mir keinen schöneren Arbeitsplatz vorstellen und das entschädigt für die unschönen Angriffe. Die Herausforderungen für die Zukunft sind gross, aber ich glaube, dass wir mit der Forschung, mit der Technik, mit der Digitalisierung, mit dem Einsatz von Drohnen, mit neuen innovativen Züchtungsmethoden sowie mit neuen ökologisch absolut vertretbaren Pflanzenschutzmitteln die richtigen und vor allem zukunftsfähigen Antworten auf die grossen Herausforderungen finden werden.   

Beitrag Heimatkunde Reigoldswil zum Thema Landwirtschaft. Interview von Yannick Steffen mit Hansruedi Wirz, verfasst Anfang 2023