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Der Reigoldswiler Ehrenbürger Max Schneider (1916 – 2010) 


Portrait Max Schneider von Marco Grob

Zeichner des Jura, eine Würdigung 

«Zeichnen heisst weglassen!» 

In Japan geht die Legende, dass ein alter Künstler den Kaiser einst in Entzücken versetzte, weil er den heiligen Berg Fudschijama im Nebel mit einem einzigen kunstvollen Strich aufs Papier bringen konnte. Alle Details konnte er weglassen, die eine Linie genügte, den Berg zu erfassen. So sehr hatte der Maler sein Motiv im Laufe seines langen Lebens verinnerlicht. 

Im Gesamtwerk von Max Schneider ist der Ryfenstein das meist gezeichnete und immer wiederkehrende Motiv. Hier muss einst in den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts der Drang, die Welt, die ihn umgab, mit dem Stift auf Papier festzuhalten beim Knaben Max Schneider aus dem Reigoldswiler Rüschel eingesetzt haben. Immer wieder der Ryfenstein, der den Künstler durch alle Schaffensperioden begleitet. 

Denkmäler sind immer schon alt und von früher. Wir tun uns heute schwerer, jemandem ein Denkmal zu setzen. Wir sehen darin vielleicht die Gefahr der kritiklosen Überhöhung einzelner Menschen. Das ist aus der Mode gekommen und gehört in zurückliegende Zeiten. Aber dieser knorrige Max Schneider, er stammt aus diesen älteren Zeiten, als noch andere Regeln galten. In seiner Welt sollte ein Mann etwas von Bestand hinterlassen, eine Spur und nicht nur Staub. Als Kind seiner Generation hat er mit ungeheurem Durchhaltewillen und mit altmodischer Disziplin immer weiter gearbeitet am eigenen Werk. Und nie jene vergessen, die schon vor ihm da waren. Zum Beispiel sein Vorbild Jakob Probst. Ihm hat er zeitlebens die Treue gehalten. Ihm hat er wieder zu Geltung verholfen, als seine Bildhauerarbeiten schon in Vergessenheit gerieten und zerstört werden sollten. Das war ihm eine selbstverständliche Ehre und Verpflichtung. So wie dieser Probst, wollte auch er etwas hinterlassen, das nach dem Leben noch Gültigkeit hat, und das ist dem Knaben aus dem Rüschel wohl gelungen. Im Max-Schneider-Archiv in Liestal ist sein Gesamtwerk mit gegen 10’000 Zeichnungen wissenschaftlich katalogisiert worden. Das macht den Max Schneider schon zu einer Besonderheit, denn sein Schaffen ist wirklich und im besten Sinne des Wortes bemerkenswert und erinnerungswürdig. 

Immer wieder der Ryfenstein. Wie der Maler im alten Japan seinen heiligen Berg, so hat Max Schneider den Ryfenstein verinnerlicht, und nirgendwo stünde darum sein Gedenkstein passender und würdiger als zuhause in Reigoldswil am Fusse der Ryfensteinfluh. 

Florian Schneider 

Vom Künstlersein 

Gedanken von Christoph Schneider über seinen Vater 

Mein Vater ist ein Künstler. Zum ersten Mal wusste ich das, als uns der Zeichenlehrer Kestenholz in der ersten Stunde fragte, ob bei uns zuhause auch jemand zeichne, male oder etwas Künstlerisches tue. Ich streckte auf und sagte, mein Vater zeichne die ganze Zeit. Da sprach Lehrer Kestenholz die denkwürdigen Worte: «Ja, von deinem Vater weiss ich das, das ist ein Künstler.» Später beim Mittagessen zuhause stieg das Ansehen des Lehrer Kestenholz an unserem Tisch ins Gewaltige. Was hat er ganz genau gesagt, wollte der Vater immer wieder wissen. Ein Künstler, ja, mein Vater ist ein Künstler.

Die Architektur war sein Beruf, das Zeichnen seine Berufung und die Kunst eine Verpflichtung, der er die Treue hielt, sein Leben lang. Er blieb kaum je stolz vor einem der Häuser stehen, die er gebaut hatte, eher schaute er absichtlich auf die andere Seite. Scheints hat ihn das nicht so erfüllt, die Bauerei, die war eben eher das notwendige Geschäft. Aber auf jeder Autofahrt konnte er pausenlos alle jene Plätze benennen, von denen aus er schon gezeichnet hatte. So hat er das gesehen, wahrscheinlich: man war als Künstler berufen und privilegiert und nahm mit dem Ruf gleichzeitig eine lebenslange Verpflichtung an. Nur so ist mir dieses unermüdliche Schaffenwollen überhaupt erklärlich. 
 
Wenn es um die Kunst ging, sollte nicht viel geredet werden. Weder über die Kunst selber, denn die sollte sich selber erklären, noch sollte im Moment ihres Entstehens geschwatzt werden. Das hielt er für eine Untugend. Schon fast für ein Sakrileg. Doch war eine Frau, wenn sie auch viel schwatzte, nur schön genug, liess er sich von ihr doch gerne auf seinen nächsten Aussichtspunkt chauffieren, damit sie ihm bewundernd beim Zeichnen zusehe. Und später hiess es dann treuherzig: «Weißt Du, sie ist ja schön, aber sie hat ständig nur geschwatzt, sogar als ich gezeichnet habe.» Ab ‘sogar’ mit Kopfschütteln. 
 
Ich denke, er hat sich selber nie ganz vergeben, dass er es seinerzeit in der Jugend nicht gewagt hatte, sich gegen die Eltern durchzusetzen mit seinem Wunsch, Künstler zu werden. Nach Paris wollte er, dahin, wo sie mit ihren Staffeleien auf der Strasse malten und in Mansarden unter den Dächern lebten nur von Kunst und Liebe und Rotwein. Dieser «Pariserfurz» wurde ihm aber nicht erlaubt von Zuhause. Einer, der gerne zeichne, müsse Hochbauzeichner werden, wurde beschlossen und er fügte sich als folgsamer Reigoldswiler Bub. Daher diese grosse Bewunderung für jene Künstler, die sich nicht hatten abbringen lassen von ihren Plänen und Träumen und sich nicht, wie er, gefügt hatten. Ihnen fühlte er sich immer wesensverwandt und doch immer etwas entfernt, denn schliesslich hatten die sich ja nicht gefügt, und das war dem Bünzli in ihm dann moralisch auch nicht ganz geheuer. Im Alter hat er dann alles nachgeholt, lebte noch mindestens zwanzig Jahre wie ein Bohemien, entspannte sich, zeichnete leidenschaftlich, trank billigen Rotwein aus billigen Gläsern und wischte den Pinsel an der Krawatte ab wie aus Trotz gegen alle früheren Konventionen und Folgsamkeiten.  
 
Seiner Kunst gibt sich der wahre Künstler hin bis zum Tod. Einmal hatte uns an der Beerdigung eines Fahrlehrers, der unser Nachbar gewesen war, eine Metapher von Pfarrer Stauffacher ganz pietätlos amüsiert: Fest hielt er den Zündschlüssel bis zum Schluss in seiner Hand. Leider weiss ich nicht mehr, wer die kleine Szene miterlebt hat, als mein Vater auf dem Passwang ein breites Panorama zeichnete. Als die Zeichnung fertig war, stellte er sie auf einen Stein und trat zur Betrachtung einen Schritt zurück und noch einen und noch einen. Ein Schritt mehr und er wäre in den Abgrund gestürzt, hätte ihn sein Begleiter nicht zurückgerissen. Das hätte dir wohl gefallen, zogen wir ihn später damit auf: fest hielt er den Zeichenstift bis zum Ende in der Hand, noch zerschmettert am Fusse der Passwangfluh. Dann lachte er – aber ich glaube jetzt: Ja, das hätte ihm wirklich gefallen, so zu Tode zu kommen im Dienst der Kunst. 

Mein Vater war ein Künstler und er kannte sich auch gut aus mit den Schweizer Künstlern seiner eigenen Generation. Sein Geschmack als Sammler seiner Kollegen hätte allerdings kühner sein können, und einiges in der moderneren Kunstwelt blieb ihm unzugänglich und interessierte ihn nicht. Auch ihm ist es passiert, dass er im Basler Kunstmuseum eine Installation mit Metallplatten und Blechkesseln erstmal für eine Baumassnahme hielt. Aber wie gesagt, er hatte ein gutes Auge und auch wenn ihm etwas nicht gefiel, konnte er Qualität erkennen und wertschätzen. Das gehörte zu seinem tiefen Respekt vor der Kunst. Und der Rest war sein Eigenes, seine Art der Praxis, sein Leben und ganz besonders sein eigener, unverkennbarer Stil. Und dazu hat auch eine meistens eher verborgene Seeleneigenschaft von Max Schneider gehört und warum seine letzte Ausstellung hiess, wie sie hiess: «Augenblicke der Leidenschaft». Die hatte er nämlich: die Leidenschaft und ihre Augenblicke, bei aller bürgerlichen Reserviertheit sonst und bei allem Misstrauen gegen grosse Gefühle und Sentimentalitäten. Momentweise drückt sich die Leidenschaft des Sehens und Gestaltens dann in einem Mut zur Farbigkeit aus, in einer spielerischen farblichen Indiskretion sozusagen. Mein Vater ging da beim „Kunst-Machen“ emotional quasi über sich hinaus. Und das dünkte mich das Hauptthema zu sein in den malerischen Bildern, die wir für diese letzte Ausstellung ausgewählt haben: sie drücken sein Erlebnis aus, die Grenzen der eigenen Gefühle in Leidenschaft zu überschreiten.  

Vielleicht können Sie es nachvollziehen beim Betrachten dieser besonderen Art von Max Schneider-Bilder. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen! (Anklicken zum Vergrössern)

 

Wissenschaftlicher Beitrag von Dr. Ingeborg Ströhle Jegge  

Max Schneider hat sich wie kein Zweiter in seinem langen Leben zeichnend mit der vielfältigen Landschaft des Baselbiets auseinandergesetzt. In seinen Zeichnungen verband er gekonnt zwei Bedürfnisse: Landschaftliches zu dokumentieren und dies künstlerisch stimmig umzusetzen. Max Schneider ist als der Zeichner der Regio Basiliensis anzusehen. Er selbst sah sich in der Nachfolge von Emanuel Büchel (1705–1775), dessen Werk er mit seinen Zeichnungen im 20. Jahrhundert fortzusetzen bestrebt war. Hier weiterlesen
 

Biographisches 

Max Schneider wurde am 16. Februar 1916 als Sohn des Stuhlschreiners Walter Schneider und der Mina, geb. Plattner in Reigoldswil geboren. Er besuchte in seinem Heimatort die Primar- und Sekundarschule und absolvierte das 9. Schuljahr in der Bezirkschule Waldenburg. Anschliessend machte er eine Lehre als Bauzeichner im Architekturbüro Brodtbeck und Bohny in Liestal. Nach praktischer Tätigkeit bei der Firma Gnemmi AG in Liestal und bei den Architekten Frey und Schindler in Olten und Zürich folgte das Studium am Technikum Burgdorf, das er 1944 mit dem Diplom als Bautechniker abschloss. Neben seiner beruflichen Tätigkeit in Schaffhausen und Genf bildete er sich in Städtebau und Denkmalpflege an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich weiter. Dann eröffnete er 1949 in Liestal ein Architekturbüro und betätigte sich ausserdem als Mitarbeiter bei der Inventarisierung der Kunstdenkmäler des Kantons Baselland.  

Max Schneider verheiratete sich 1953 mit Jolanda Martin aus Frenkendorf. Der Ehe entsprossen drei Söhne. Ab 1958 war Max Schneider Mitglied des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins (SIA) und ab 1978 amtete er als Präsident des Baselbieter Heimatschutzes und war Mitglied des Zentralvorstands des Schweizer Heimatschutzes. In Reigoldswil wurden ihm 1950/51 die Renovation der Kirche und 1963/65 die Planung und Bauleitung der Schulbauten übertragen. Ausserdem wurden in Reigoldswil und anderen Orten verschiedene Umbauten nach seinen Plänen und unter seiner Leitung erstellt.  

In den Folgejahren wurde Max Schneider durch seine vielfältigen künstlerischen Zeichnungswerke bekannt, die unter dem Patronat von Bund und Kanton erschienen sind: 4 Kunstmappen Dachlandschaften von Baselland und angrenzenden Regionen, 1 Kunstmappe Dachlandschaften des Laufentals, 2 Kunstmappen Juralandschaften, 1 Dokumentation Reigoldswil.  

Max Schneider hat sich auch erfolgreich um das Lebenswerk anderer Künstler bemüht: Sammlung und Restaurierung der Gipsmodelle des Bildhauers Jakob Probst, Initiant des August Suter-Museums in der alten Mühle von Eptingen, Herausgabe einer Mappe mit Zeichnungen des Architekten Hans Mähly (1888-1977). Max Schneider wurde am 16. Februar 1996 zum Ehrenbürger von Reigoldswil ernannt. An diesem Tag feierte er zugleich seinen 80. Geburtstag. Am 25. August 2010 ist Max Schneider im 95. Lebensjahr verstorben. 

Florian Schneider 

Beitrag Heimatkunde Reigoldswil zum Thema "Bekannte Persönlichkeiten" von Florian Schneider, verfasst im April 2023