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Evangelisch reformierte Kirchgemeinde Reigoldswil-Titterten
Baugeschichte der Kirche von Reigoldswil
Die erste Kirche von Reigoldswil, unter fränkischer Herrschaft im 7./8. Jahrhundert erbaut, war dem Heiligen Remigius geweiht, dem Bischof von Reims (437 – 534). In jener Zeit bildeten Reigoldswil und Lauwil eine Kirchgemeinde. Nach vielen Wechseln der Herrschaft über das Reigoldswiler Tal erreichte die Reformation 1529 auch das Baselbiet, und das Besetzungsrecht für die Kirchen ging an die Stadt Basel über. 1555 vereinigten sich Reigoldswil, Lauwil und Bretzwil zu einer Kirchgemeinde. Dadurch entstand auch eine neue Dorfkirche, die 1562 am Fusse des Hoggenhübels eingeweiht wurde. 1962, zum 400-Jährigen bestehen der Kirche wurde ein grosses Fest mit Umzug gefeiert, am Ende des Beitrages finden Sie einen kurzen Film dazu.
Der rechteckige Saalbau hatte die Innenmasse von 9.40 x 10.6 m und besass ein Schiff mit eingezogenem, pentagonalem Chor und einem Dachreiter. 1705 wurde die Vergrösserung der Fenster notwendig, da moniert wurde, dass die Kirche zu dunkel sei. Um 1765 wurde Reigoldswil von der bisherigen Kirchgemeinde abgetrennt und bildete fortan zusammen mit Titterten, das bisher zu St. Peter bei Oberdorf gehört hatte, die neue Kirchgemeinde. Infolge der Gründung dieser neuen Kirchgemeinde wurde ein Pfarrhaus errichtet und die Kirche umgebaut und zur Hallenkirche erweitert. Der Chor wurde abgerissen, das Schiff verlängert und erhöht und es wurden Emporen auf drei Seiten eingebaut. 1889/90 wurde der Dachreiter durch einen Turm mit Spitzhelm und Uhrengiebeln an der Nordwestseite des Schiffes ersetzt. Durch diesen Einbau wurde auf der Nordseite eines der Fenster zugemauert. Ein wohlklingendes, fünfstimmiges Geläut (Es, G, B, C, Es), hergestellt von der Glockengiesserei Rüetschi in Aarau, löste die beiden kleinen Glocken des Dachreiters ab. Nachdem der Kirchturm im Jahre 1934 renoviert worden war, wurde 1948 der Friedhof gegen Norden erweitert, wobei man die Gräberfelder neu gestaltete und durch Lebhäge abgrenzte.
In die Jahre 1950/51 fällt die Gesamtrenovation, die das gesamte Erscheinungsbild des Kirchenraumes sehr stark prägte: Einbau einer Holzdecke mit Temperamalerei von Walter Eglin, Erstellung des Anbaus für eine neue Orgel, Sakristei und Toilette, Einrichtung der elektrischen Heizung. Die neue Orgel stammt aus der Werkstatt des Orgelbauers Ziegler-Heberlein aus Uetikon. Die Empore, die bisher auf drei Seiten eingebaut war, wurde nur noch auf der Westseite eingezogen. Die aus dem 17. Jahrhundert stammende Kanzel wurde neu an der Nordwand eingebaut (vorher in der Mitte der Ostwand). Das Innere der Kirche erhielt durch den Taufstein (Mutter und Kind) und das Gipsrelief „Ikarus“ an der Seitenwand der Empore, Werke des Reigoldswiler Bildhauers Jakob Probst, eine willkommene Bereicherung. Von Jacques Düblin stammen die Wappenscheiben Reigoldswil und Titterten, von Emil Schäfer die ovale Glasscheibe mit einer Abendmahlsszene, 1936 gespendet zu Ehren von Pfarrer Ernst Lotz. Bei der Renovierung wurde die Inschrift an der Südwand aus dem 16. oder 17. Jahrhundert entdeckt, die unter dem Verputz verborgen war. An der südlichen Aussenmauer erinnert eine Gedenktafel an die in Reigoldswil bestatteten früheren Pfarrer Zacharias Roth (1728-1778), Johann Jakob Bachofen (1743-1808) und Johann Rudolf Lindner (1812-1879). Im Jahre 1978 erhielt auch der Meridian an der Südwestecke, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur Bestimmung der genauen Mittagszeit angebracht worden war, die schon längst gewünschte Auffrischung. 1981 wurde der Friedhof erweitert und umgestaltet. Zudem ersetzte man den bisher behelfsmässigen Leichenraum im Erdgeschoss des Kirchturms durch eine Leichenhalle mit Kühlanlage. Die letzte Renovation der Kirche erfolgte im Jahre 1990. Sie veränderte das Erscheinungsbild nicht so einschneidend wie die Renovation von 1950/51. Es wurde ein Anteil der Sitzbänke im hinteren Teil der Kirche entfernt; der gewonnene Raum wurde mit Stühlen und Tischen eingerichtet, um neue Begegnungsformen zu ermöglichen.
Im Jahre 2016 wurde die Orgel in der Kirche Reigoldswil einer umfassenden Revision unterzogen. Darüber berichtet die Organistin der Kirchgemeinde Reigoldswil/ Titterten, Heidy Müller, in einem speziellen Beitrag. Diesen finden Sie hier!
Kirche in Titterten
Im Jahr 1765 schloss sich Reigoldswil mit Titterten zu einer Kirchgemeinde zusammen. Die Kirchgemeinde hat seither zwei Kirchgebäude. Die Kirche in Titterten stammt aus dem 12. Jahrhundert. Die Jahreszahl 1556 am Giebel erinnert an einen grösseren Umbau. Die Kirche wurde dem heiligen Martin geweiht, der im schönen Kirchenfenster von Jacques Düblin aus dem Jahre 1952 dargestellt ist. Die Kanzel ist die älteste Holzkanzel im Kanton Basel-Landschaft.
Innen- und Aussenansicht der Titterter Kirche.
Verzeichnis der Pfarrpersonen von Reigoldswil – Titterten seit 1941
- 1941 Ernst Bots
- 1954 Theophil Schubert
- 1960 Benedict Steiger
- 1993 Martin Stingelin
- 2004 Kerstin Bonk und Andreas Olbrich
Entwicklung der Mitgliederzahlen der Kirchgemeinde
Die Zahl der Mitglieder der Kirchgemeinde hat in den letzten 20 Jahren um mehr als ein Viertel abgenommen. Die Abnahme der Mitgliederzahl begann bereits in den 1980er-Jahren. Seit dem Jahr 2000 ist aber ein wirklicher Einbruch zu beobachten: Während im Jahr 2000 noch 1410 Mitglieder vorhanden waren, hat sich diese Zahl bis zum Jahr 2022 auf 1030 Mitglieder reduziert. Dieser Rückgang wirkt sich in den verschiedensten Bereichen aus: Durch die sinkende Mitgliederzahl sinken auch die finanziellen Möglichkeiten. Dadurch gewann die Zusammenarbeit mit den Nachbargemeinden Ziefen – Lupsingen – Arboldswil und Bretzwil/ Lauwil an Bedeutung und wurde verstärkt. Unter der Bezeichnung «3 K» wurden und werden immer mehr Angebote der Kirchgemeinde gemeinsam von diesen 3 Kirchgemeinden getragen.
Entwicklung der Mitgliederzahlen seit 1980
1980 | Reigoldswil | 1157 | Titterten | 307 | 1464 |
1990 | Reigoldswil | 1074 | Titterten | 336 | 1410 |
2000 | Reigoldswil | 1064 | Titterten | 346 | 1410 |
2010 | Reigoldswil | 988 | Titterten | 279 | 1267 |
2020 | Reigoldswil | 819 | Titterten | 225 | 1044 |
Die Anzahl der Mitglieder der Kirchgemeinde hat damit seit dem Jahr 2000 um 366 Personen abgenommen, was einer Reduktion von ca. 25% entspricht.
Kleine Auswahl beeindruckender Angebote und Ereignisse in der Kirchgemeinde
Taizé-Jugendtreffen in Basel von 2017
Das 40. Europäische Jugendtreffen der ökumenischen Gemeinschaft von Taizé fand in der Region Basel statt. Auch Reigoldswil engagierte sich in diesem Rahmen, indem gut 100 Teilnehmende für die 3 Tage bei Mitgliedern der Kirchgemeinde Reigoldswil-Titterten aufgenommen wurden. Nur selten waren wohl bei Gottesdiensten, die auch in der Kirche Reigoldswil stattfanden, so viele Jugendliche versammelt, wie bei diesen Taizé-Gottesdiensten. Am Treffen nahmen insgesamt ungefähr 20‘000 Jugendliche aus ganz Europa teil. Es endete mit einem Aufruf zu mehr Solidarität mit den armen Ländern und zum Umweltschutz.
Pilgerwanderung von Basel nach Genf
Im Jahr 2011 entschloss sich Kerstin Bonk, mit einer Gruppe von ca. 20 Pilgernden, den trinationalen „Tag der reformierten Kirchen am Rheinknie“ in Basel zu besuchen. Daraus entstand anschliessend die Idee, auf dem Jakobsweg von Basel nach Genf zu pilgern. Zwei Jahre später startete dieses Projekt mit 15 Pilgernden und einer Pilgerhündin aus der Kirchgemeinde. Verteilt auf sieben Jahre war die Gruppe jeweils an einem verlängerten Wochenende unterwegs und durfte viel Schönes und Beeindruckendes erleben. Vom wunderbaren Bielersee über die romanische Kirche von Payerne bis zum Jet d‘eau von Genf genossen die Pilgernden die Schönheit der Natur, das jeweils passende Wort Gottes und nicht zuletzt den wunderbaren Gruppengeist. Für alle Teilnehmenden eine bleibende Erinnerung.
Impressionen (in den Reben entlang des Bielersees)
Kirchgemeindesonntag
Jeweils am letzten Sonntag des Januars wurde während vieler Jahre der Kirchgemeindesonntag gefeiert: Zuerst ein Gottesdienst, danach ein gemeinsames Essen und am Nachmittag jeweils eine spezielle Produktion von Jugendlichen. Oft durften die Zuschauenden eine Bühnendarbietung der Religionsklassen geniessen. Unvergessen ist auch die Bühnenaufführung des Buches „Mein Name ist Eugen“ durch die Jungschar von Reigoldswil. Bei diesen Aufführungen war die Turnhalle in Reigoldswil jeweils bis zum letzten Platz besetzt. Zum Schluss wurde in einem grossen Kreis am Rand der Turnhalle gemeinsam das Abendlied gesungen. Leider kamen nach dem Mitgliedereinbruch ab dem Jahr 2000 immer weniger Leute, sodass der Kirchgemeindesonntag seit längerem nicht mehr stattfindet.
Suppentag
Sowohl in Reigoldswil als auch in Titterten veranstaltet die Kirchgemeinde seit Jahrzehnten einen Suppentag, der als Begegnungsort Jahr für Jahr von vielen Besucherinnen und Besuchern sehr geschätzt wird. Dieser Anlass gehört zur Tradition der Kirchgemeinde. Mit dem gespendeten Geld wird jeweils ein Entwicklungshilfe-Projekt einer Hilfsorganisation, in der Regel von Mission 21, unterstützt.
Reise der Kirchgemeinde
Im Jahr 2019 unternahm die Kirchgemeinde eine Reise nach Patmos in Griechenland. Die Beteiligung war sehr gut und alle Teilnehmenden kamen begeistert und mit reichen Eindrücken von dieser Reise zurück.
Die lebendige Kirchgemeinde in der Zukunft
Die Kirchgemeinde will mit einer grossen Anzahl von Angeboten auf ganz verschiedenen Ebenen möglichst viele Personen ansprechen. Insbesondere besteht in der Jugendarbeit nach wie vor eine aktive Jungschar, daneben eine Sonntagsschule, ein Gschichtezmittag und ein Maitlitreff. In der Seniorenarbeit findet traditionell jedes Jahr eine Seniorenwoche statt, in der die Teilnehmenden viel Schönes erleben dürfen und Jahr für Jahr bereichert und zufrieden wieder nach Hause zurückkehren.
Mit derart verschiedenen Angeboten kann die Kirchgemeinde auch in Zukunft eine lebendige Institution bleiben.
Und im Sinne eines Ausblicks sei angefügt, dass mit der Inkraftsetzung einer neuen Kirchenverfassung, einer neuen Kirchen–, Finanz– sowie Personal- und Besoldungsordnung durch die Kantonalkirche wird die Zusammenarbeit unter den Kirchgemeinden gefördert wird. Als Folge davon wird auch die Kirchgemeinde Reigoldswil – Titterten stärker mit den Nachbargemeinden Ziefen – Lupsingen – Arboldswil und Bretzwil/ Lauwil zusammenarbeiten und vermehrt Angebote im Rahmen von „3 K“ durchführen.
Beitrag Heimatkunde Reigoldswil zum Thema Kirchgemeinde Reigoldswil - Titterten, verfasst von Karl Bolli am 29.6.2023
Kurzfilm von Max Waldner-Kohler zum Umzug "400 Jahre Kirche Reigoldswil" (1962)
Die Heimatkunde von 1987 ist neu als PDF-Datei hinterlegt. Zu finden unter Rückblick-Ereignisse seit 1980-Die alten Heimatkunden. Die erwähnten Passagen können dort eingesehen werden.
Markus Probst, Projektteam Heimatkunde Reigoldswil
Wir sind eingeladen, unsere Meinung zu äussern. Herzlichen Dank! Ich mache das gerne. Wobei ich mich nicht zum ganzen Beitrag «Evangelisch-reformierte Kirchgemeinde Reigoldswil-Titterten» von Karl Bolli äussern werde, sondern lediglich zum Kurzfilm von Max Waldner-Kohler.
Einführend halte ich fest, dass mein Kommentar, der eines kirchlich Engagierten und an kirchlichen Angelegenheiten interessierten Menschen ist. Tätig war ich in den Kirchen über mehr als zwei Jahrzehnte lang, vor allem als Koch und als Tenor in diversen Kirchenchören, sowohl der römisch-katholischen, wie der evangelisch-reformierten Kirche. In der römisch-katholischen Kirche kochte ich ab und zu auch gegen Honorar, zumeist aber ehrenamtlich. Zum Mitsingen in Chören wurde ich von den Kirchen eingeladen, was ich als Geschenk empfinde. Von der evangelisch-reformierten Kirche wurde ausserdem, erfreulich unbürokratisch, die Betreuung eines alten, alleinstehenden, parkinson-kranken Mannes vermittelt. Ich betreute ihn bis zu seinem Lebensende und auch dies erwies sich als ein Geschenk, für ihn, wie für mich selber; wir wurden im Laufe dieser Zeit Freunde.
Meine Beziehung zu «Kirche» fand in Reigoldswil ihren Anfang: in Reigoldswil wurde ich getauft und konfirmiert. Gewohnt habe ich im Dorf in naher Nachbarschaft der Kapelle der Adventsgemeinde der Siebenten-Tags-Adventisten. Ruth Fontana, die mir als Hebamme auf die Welt geholfen hat, war ein Mitglied der Adventsgemeinde, wie überhaupt alle Angehörigen der Familie Fontana: Fritz, der Malermeister und seine Frau, Hermann, sein Sohn Franz und dessen Frau Edith, mit denen ich als Gartenbauunternehmer geschäftlich viel zu tun hatte, Bruno, das «Original» und Leni, die Pianistin, die in der Kirche Orgel spielte . . .
Was ich damit sagen will: Schon früh wurde mir bewusst, dass es nicht nur die evangelisch-reformierte Kirche, nicht ausschliesslich «Landeskirchen» gibt, dass also «Kirche» nicht nur und ausschliesslich aus öffentlich-rechtlichen Körperschaften besteht. Engagiert habe ich mich, dessen ungeachtet, später, nachdem ich Reigoldswil verlassen hatte, allerdings ausschliesslich in den drei Kirchen mit öffentlich-rechtlichem Status, also der evangelisch-reformierten, der römisch-katholischen und der christkatholischen Kirche. Bei der zuletzt genannten durfte ich einmal für das Sommerlager («Chrisola») auf der Mörlialp im Kanton Obwalden kochen.
Und wieder begegnete mir eine Pianistin, die Mitglied einer Adventsgemeinde ist: Dagmar Clottu in Biel. Sie begleitete uns, die Sängerinnen und Sänger des Chœur de l'Église française de Berne, als Korrepetitorin bei diversen Proben zu einem sehr schönen Konzert unter der Leitung von Pierre von Gunten.
Einer bestimmten Kirchgemeinde fühlte ich mich nie zugehörig. «Kirche» ist für mich ein weltumspannendes Netzwerk; Ökumene eine Selbstverständlichkeit.
Viele Feste, an denen ich mitwirken durfte, wurden durch Kirchenmusik gestiftet. Grosse, phantastische Feste! Ich denke dabei zum Beispiel an das vom schweizerischen Katholischen Kirchenmusikverband SKMV in enger Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Kirchengesangsbund SKGB organisierte «Kirchenklangfest» CANTARS, ausserdem, und erst recht, auch an das von Fest Corps, Inc in Nashville, Tennessee organisierte INTERNATIONAL CHURCH MUSIC FESTIVAL, das seit 1984, über 25 Jahre lang, alternierend in Coventry UK und in Bern stattfand. Ich durfte an diesem Fest in Bern drei Mal als Sänger teilnehmen. Zum Fest kamen Chöre aus Australien, Canada, den Niederlanden, Indien, Italien, Kenya, der Ukraine (sic!), aus Grossbritannien und den USA. All diese Chöre konzertierten je für sich allein, unter der Leitung ihres eigenen Chorleiters, wobei der Höhepunkt des Festes sich im gemeinsamen Singen aller Sängerinnen und Sänger insgesamt fand. Wir probten zusammen unter der Leitung von Sir David Willcocks und Paul Leddington Wright, die auch das Konzert des grossen, Menschen aus der ganzen Welt verbindenden, Anlasses dirigierten. Durch dieses grossartige Fest erhielt ich einen Eindruck von dem, was christliche Kultur vermag; in anderen Worten: Ich bekam als Beteiligter mehr als eine Ahnung von etwas wirklich Grossem. Vermittelt durch Musik!
Womit ich zum Kurzfilm von Max Waldner-Kohler komme, einem Dokument ganz besonderer Art.
Ein berühmter evangelisch-reformierter Theologe sagte einmal: «Ich komme aus dem paradiesischen Lande, wo die Theologen vom Universitätsprofessor bis zum einfachen Dorfpfarrer ungefähr in jeder Beziehung machen können, was sie wollen.» Diese Feststellung Karl Barths kam mir in den Sinn, während ich amüsiert dem Kurzfilm zum Umzug «400 Jahre Kirche Reigoldswil» folgte.
Mit grosser Wahrscheinlichkeit war diese Feier mit Umzug die Idee eines evangelisch-reformierten Pfarrers – Benedikt Steiger. Er hatte seine Stelle in Reigoldswil 1960 angetreten.
Brachte er diese Idee damals mit? Hatte er den ’Mummenschanz’ schon im Kopf, bevor er ins Dorf kam, entschlossen, ihn in die Tat umsetzen zu lassen? – Wir wissen es nicht. Bemerkenswert ist, dass er es tatsächlich schaffte, mehr oder weniger das ganze Dorf, die Lehrerschaft, den Turnverein, die Damenriege, den Musikverein, die Firmen Bally und Lapanouse, Bauern und Gewerbetreibende, für dieses Fest zu gewinnen. Eindrücklich allemal, zweifellos. Der Mann hatte offenbar Charisma. Er schenkte der Dorfbevölkerung ein Fest, indem er sie motivierte, dieses zu organisieren. Das ist bemerkens- und verdankenswert.
Jeder Mensch hat Stärken und Schwächen. – Beni Steiger hatte seine Qualitäten. Dieses Fest, der Umzug, war eine grossartige Sache, irgendwie. Ich sage dies ohne Ironie. Imponierend.
Wobei «400 Jahre Kirche Reigoldswil», bei näherem Betrachten, doch etwas «schräg» erscheint, da Reigoldswil mit grosser Wahrscheinlichkeit schon seit der Zeit der Franken, also seit dem 7./8. Jahrhundert eine, und im Laufe der weiteren Jahrhunderte dann gar zwei Kirchen hatte. Die erste im Bann von Lauwil, die zweite «im Chilchli» hinten, im Dorf Reigoldswil selber.
400 Jahre vor 1962 war die erste Kirche von Reigoldswil, jene in Lauwil, die nach Remigius, dem Bischof von Reims «St. Romai» genannte, abgebrannt und nicht wieder aufgebaut worden. Die andere hingegen, die dem Bischof und Kirchenlehrer Hilarius von Poitiers geweihte «im Chilchli» wurde noch benutzt, auch nach der Reformation, als an dem Standort, wo bis heute die Kirche von Reigoldswil sich befindet, ein weiteres Kirchlein eingeweiht wurde, – 1562.
Dieses Kirchlein sei «die Kirche von Reigoldswil», ihrer sei durch eine Feier mit Umzug zu gedenken! Wodurch nicht ausgeschlossen wurde, einen Reigoldswiler als Bischof Remigius und einen anderen als Bischof Hilarius verkleidet im Umzug mitmarschieren zu lassen. Ganz im Gegenteil.
Anderes im Umzug, was zu meiner grossen Freude filmisch festgehalten wurde, steht in keinem Bezug zu «Kirche», weder der ausgestopfte letzte Bär von Reigoldswil, noch die Kühe. – Die Kühe ergänzten die Bauern. Die Bauern, wie auch die Trachtenfrauen – zumindest einige von ihnen, vermutlich die meisten, hatten sehr wohl einen Bezug, oder eine Beziehung, zur Kirche. Auch die Turnerinnen und Turner waren getauft, nicht anders als die Musikanten, die Honoratioren und die Blumenkinder, unter ihnen auch die jüngeren Geschwister des Verfassers dieser Zeilen. Ich selber durfte übrigens einen Gärtner darstellen, mit Strohhut, grüner Schürze und einem Bündelchen Naturbast.
Die Frage bleibt, bei näherer Betrachtung: Was hatte dieses Fest mit der Kirche zu tun?
Weder meine Schwester, noch ich wussten damals, um was es bei diesem Umzug ging. Sie schrieb mir kürzlich in einer E-Mail: «Dieser Film ist ja lustig. Ein Wiedersehen mit den ehemaligen Gspänli. An den Umzug kann ich mich noch erinnern, jedoch hatte ich keine Ahnung zu welchem Anlass dieser stattfand. An die Kirche hätte ich zuletzt gedacht. Auch habe ich nie mehr einen solchen in Reigoldswil erlebt.»
Hoch zu Ross die Reiter, verkleidet als geharnischte Ritter und Musketen tragende, behelmte Soldaten, so grüsst das Mittelalter das staunend applaudierende Volk am Strassenrand! – Keine andere Epoche fasziniert die Menschen der Moderne mehr als die Zeit von 500 bis 1500 – Mittelalter ist immer angesagt und gut. Im Übrigen: Mimesis – Nachahmung. Was wird da alles nachgeahmt?! – Ein wenig Sechseläuten-Umzug von Zürich; OLMA-Umzug in St. Gallen. Ausserdem grüsst, leise und bescheiden, der Corso Fiorito – «San Remo in Fiore», durch die Wagen nämlich, der Firmen Lapanouse und Bally. –
Kirche? – Wird da tatsächlich die Kirche gefeiert? Kirche oder nicht, so ein Anlass will organisiert sein! Zu einem eindrücklichen Anlass macht ihn seine Einmaligkeit. Tags darauf wird möglicherweise noch darüber geredet, vielleicht nach einer Woche vereinzelt noch immer, doch schon in wenigen Jahren wird das Fest weitgehend vergessen sein. Gäbe es den Film von Max Waldner-Kohler nicht!
Man hat dem Beginn seines Kurzfilms einige Takte der «Ode an die Freude» aus dem vierten Satz von Ludwig Van Beethovens 9. Symphonie unterlegt. Dieser Ode wird dann allerdings schon bald der Marsch geblasen, von der marschierenden Dorfmusik, mittels verschiedener Märsche. – Gedenkt man so einer Kirche?
Ist das eine wichtige Frage? – Ein Fest ist ein Fest!
Mit dieser apodiktischen Fest-Stellung nähere ich mich dem Ende, um noch einmal zurück zum grossen Theologen Karl Barth zu kommen. «Ich komme aus dem paradiesischen Lande, wo die Theologen vom Universitätsprofessor bis zum einfachen Dorfpfarrer ungefähr in jeder Beziehung machen können, was sie wollen». Das sagte er in seinem Vortrag für die Versammlung der „Freunde der Christlichen Welt“ auf der Elgersburg, am 3. Oktober 1922. Im selben Vortrag, in dem er sagte: «Wir sollen als Theologen von Gott reden. Wir sind aber Menschen und können als solche nicht von Gott reden.» Zu diesem Zeitpunkt war er bis vor kurzem noch Pfarrer in Safenwil im Kanton Aargau gewesen, überzeugter Sozialist, in praktischem Einsatz gegen Armut und soziale Ungerechtigkeit.
Er fuhr dann in seiner Rede im Herbst 1922 fort: «Wir sollen Beides, unser Sollen und unser Nicht-Können, wissen und eben damit Gott die Ehre geben. Das ist unsre Bedrängnis. Alles Andre ist daneben Kinderspiel.»
Er drückte damit ein Dilemma aus, in dem er sich als Theologe fand. Einen Konflikt, den ich als Philosoph nicht habe. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an Ludwig Wittgensteins „Cardinalsatz“ Nummer 7 zum Ende seines Tractatus logico-philosophicus: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“
Ich bin kein «Barthianer», doch fühle ich mich Karl Barth, weit über seinen Tod hinaus, freundschaftlich verbunden. Natürlich auch, weil er die «Bekennende Kirche» mitbegründet hat, und sich vehement gegen die nationalsozialistische Verbrecherbande einsetzte. Vor allem aber, weil er sich im Allgemeinen ungewohnt redlich und ehrlich mit sich selber und seiner Umwelt auseinander gesetzt hat. Nach seinem eigenen Bekunden auf der Suche nach der Wahrheit in Liebe. Dadurch wurde er für mich zu einem sehr geschätzten Dialogpartner. Dass ich einen solchen in Benedikt Steiger nicht finden konnte, mag meinem Unvermögen geschuldet sein. Versucht habe ich es.
Bleibt mir noch, ganz zum Schluss, auf die lesenswerten Beiträge zum Thema Kirche in der Heimatkunde Reigoldswil von 1987 hinzuweisen. Sie finden sich unter dem Titel «Kirche und kirchliches Leben» auf den Seiten 226-237 versammelt. Verfasst wurden sie von Dr. Paul Suter und – last but not least – von Benedikt Steiger.
Christoph Zehntner, Bern
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