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Klein aber fein: Wie in Reigoldswil die kleinste Sekundarschule des Kantons entstand!
Obwohl Reigoldswil zu den kleineren Baselbieter Gemeinden gehört, gibt es seit über hundert Jahren eine Sekundarschule. Kinder und Jugendliche aus Reigoldswil können somit ihre gesamte obligatorische Schulzeit im eigenen Dorf absolvieren. Neun Jahre lang bleibt der Schulweg derselbe, das Sekundarschulhaus liegt gleich neben dem Primarschulhaus. Mit dem Neubau des Kindergartens auf dem Schulareal befinden sich sogar Kindergarten, Primarschule und Sekundarschule im Umkreis von 100 Metern. Erst für weiterführende Schulen und Ausbildungen muss das Dorf verlassen werden. Das ausgedehnte Bildungsangebot macht Reigoldswil zu einem attraktiven Wohnort für Familien. Für Schülerinnen und Schüler aus den umliegenden Gemeinden Ziefen, Arboldswil, Titterten, Lauwil und Bretzwil ist die Sekundarschule in Reigoldswil gut erreichbar. Die Sekundarschule ist somit für Reigoldswil und alle umliegenden Gemeinden von Bedeutung.
Abbildung 1:
Das Reigoldswiler Schulgelände. Die beiden Gebäude im Vordergrund gehören zur Sekundarschule. Hinten rechts befinden sich die Primarschule und der Kindergarten.
Quelle: Sekundarschule Reigoldswil
Unter den Baselbieter Sekundarschulen hat Reigoldswil einen besonderen Status. Mit ca. 200 Schüler*innen ist die Sekundarschule Reigoldswil die kleinste im Kanton. “Klein aber fein!” - So bezeichnet sich die Sekundarschule Reigoldswil auf ihrer Website. Eine Einschätzung, die wir als ehemalige Schülerinnen teilen. Trotz ihrer geringen Grösse ist in Reigoldswil das gesamte Bildungsangebot vorhanden: Schüler*innen können in Reigoldswil das 7. bis 9. Schuljahr absolvieren und alle drei Leistungszüge (A, E und P) besuchen. Unterrichtet werden sie von etwa 30 Lehrpersonen. Dadurch herrscht eine familiäre Atmosphäre, es kennen sich alle. Als kleinste Schule hat die Sekundarschule Reigoldswil jedoch auch einen schwierigen Stand. Wirtschaftlich betrachtet lohnt sich eine so kleine Schule kaum. Deshalb wurde zwischen 2007 und 2010 über die Zukunft des Schulstandortes diskutiert. Die Schliessung der Sekundarschule Reigoldswil war so gut wie beschlossen. Die damals fast 300 Schülerinnen und Schüler1 aus Reigoldswil und den umliegenden Gemeinden hätten künftig in Oberdorf zur Schule gehen sollen. Für die Schüler*innen hätte dies eine grosse Veränderung bedeutet. Wegen des längeren Schulwegs und schlechter Erreichbarkeit mit dem öffentlichen Verkehr hätten die Schülerinnen und Schüler so beispielsweise über Mittag nicht mehr nach Hause gehen können. Deshalb regte sich Widerstand gegen die Umstrukturierungen: Schüler*innen, Lehrpersonen, Eltern und die betroffenen Dörfer wehrten sich gegen die Schulschliessung. Es wurden Unterschriften für eine Petition gesammelt, welche den Erhalt des Schulstandortes forderte. Auch ganze Schulklassen wurden aktiv und setzten sich für den Erhalt ihrer Schule ein. Klassen besuchten Landratssitzungen (ab Seite 30) und brachten selbstgemalte Transparente mit Sprüchen wie “Klein, aber oho!” mit. Das Engagement zeigte Wirkung: Die Sekundarschule Reigoldswil bleibt uns bis heute erhalten.
Abbildung 2:
In Reigoldswil wurde das erste Schulhaus um 1800 neben der Kirche gebaut.
Quelle: Kirche und Schulhaus von Reigoldswil, Matthias Bachofen, 1800. Kunsthistorische Sammlung, Archäologie und Museum Baselland, Liestal.
Der grosse Widerstand zeugt von der Bedeutung der Sekundarschule für Reigoldswil und die umliegenden Gemeinden. Diese manifestiert sich auch an der langen Geschichte des Schulstandorts Reigoldswil: Im 17. Jahrhundert wird erstmals ein Schulmeister in Reigoldswil urkundlich erwähnt. Das erste Schulhaus befand sich neben der Kirche und wurde Ende des 17. Jahrhunderts erbaut. Zwischen 1819 und 1820 musste das Schulgebäude aufgrund steigender Schülerzahlen zuerst erweitert werden, bevor 1840 ein gänzlich neues Schulhaus gebaut wurde. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts gab es Bestrebungen, eine Sekundarschule in Reigoldswil zu gründen. Gebaut wurde sie aber erst 1912 am Rüschel. Zu Anfang waren vier Primarklassen und die Sekundarschule im neuen Schulhaus untergebracht. Bereits 40 Jahre später reichte der Platz nicht mehr aus. Gleich nebenan wurde das heutige Sekundarschulgebäude nach Plänen des Reigoldswiler Architekten Max Schneider gebaut. 1965 wurde das Gebäude inklusive Turnhalle, Hauswirtschaftstrakt und Hauswartwohnung eingeweiht. Eine Besonderheit war das Schwimmbecken im Untergeschoss der Turnhalle, das erste im Kanton. So konnten die Reigoldswiler Kinder bis 2013 im eigenen Dorf schwimmen lernen. Während alle anderen Klassen im Oberbaselbiet entweder nach Gelterkinden, Sissach oder Liestal ins Hallenbad fahren mussten, war das Reigoldswiler Schwimmbad nur Minuten vom Klassenzimmer entfernt. Bestehend aus einem mittelgrossen Becken mit Treppe und abfallendem Boden, gehörte das Schwimmbecken nicht zu den aufregendsten, aber den Schwimmkurs im eigenen Dorf mit allen Klassengspänli wollte niemand verpassen.
Abbildung 3:
Wo heute eine Treppe vom Pausenhof zum Sportplatz führt, stand während neun Jahren der provisorische Schulcontainer.
Quelle: Sekundarschule Reigoldswil
Das Sekundarschulgebäude musste 1987 saniert werden und wurde in diesem Zug erweitert. Dazu kamen ein Musikzimmer, ein Informatikraum, Werkräume, eine Schulbibliothek sowie ein Rektorat und ein Kopierzimmer. Auch die nächste Erweiterung liess nicht lange auf sich warten: In den frühen Nullerjahren wurde hinter dem Hauptgebäude ein zusätzlicher Pavillon gebaut, um den steigenden Schülerzahlen gerecht zu werden. 2007 musste zwischen dem Pausenhof und dem Fussballplatz sogar ein zusätzlicher Schulcontainer aufgestellt werden. Im Container fanden sechs Klassenzimmer sowie ein Informatikzimmer Platz. Bei den Schülerinnen und Schülern war der Container unbeliebt: Im Sommer wurde es sehr heiss und die ständig defekten Rollläden vermochten auch keine Abhilfe zu schaffen. Im Winter blieb es hingegen kalt, und Schulklassen in Winterjacken waren kein seltenes Bild. Glücklicherweise handelte es sich um ein Provisorium und der Container konnte 2016 wieder abgebaut werden. Die Umstellung auf sechs Jahre Primarschule und drei Jahre Sekundarschule hatte das Raumproblem gelöst. Das führte jedoch dazu, dass sich die Schüler*innenzahlen weiter zurückgingen: Im Jahr 2022 besuchten noch 198 Schüler*innen in zehn Klassen die Sekundarschule in Reigoldswil.
Die geringe Grösse der Schule bringt aber auch Vorteile mit sich: Die wenigen Klassen und das kleine Lehrpersonen-Kollegium schaffen ein familiäres Umfeld mit viel Zusammenhalt. Trotz oder gerade wegen der geringen Grösse verfügt die Schule bis heute ein grosses Angebot an Aktivitäten, das den gewöhnlichen Schulalltag ergänzt; seien dies Freifächer vom Theaterkurs über die Weihnachtswerkstatt bis hin zu Russischkursen, die Schulbibliothek oder die regelmässigen Projekt- und Kurswochen. Auch wird an der Schule nicht nur der obligatorische Wissenskanon gelehrt, sondern manch eine*r absolviert während der obligatorischen Schulzeit noch einen Nothelfer*innen- oder Babysitterkurs, lernt, wie man Gartenstelen, Segelflugzeuge und Lampenschirme baut, stellt professionell Pralinés her oder wandert einmal quer durch den Nationalpark, um die Tier- und Pflanzenwelt besser kennenzulernen. Ein Highlight der Schulzeit waren und sind auch die regelmässigen Klassenlager. Alle zwei Jahre brechen alle Klassen eines Jahrgangs gemeinsam zum Skilager auf und im Frühling oder Herbst gibt es kleinere Klassenlager, was zur Stärkung der Klassengemeinschaften beiträgt. Am jährlich stattfindenden Sporttag messen sich die Klassen entweder auf der Sportanlage in Reigoldswil in verschiedenen Ballsportarten oder im Gitterli in Liestal in Leichtathletik.
Nebst unzähligen Schulstunden, Sporttagen und Lagerwochen gehört aber auch die eine oder andere lokale Besonderheit zu jeder Reigoldswiler Schulkarriere. Bis vor einigen Jahren verkaufte der Reigoldswiler Dorfbeck “Moler-Beck” in jeder grossen Pause Brötli. Teil des Angebots waren auch die begehrten “Gratis-Brötli” vom Vortag. Die Begeisterung ging so weit, dass Schüler*innen weitreichende Strategien austüftelten, um fünf Minuten vor dem offiziellen Pausenbeginn eines der “Gratis-Brötli” zu ergattern. Auch die neongrünen Wände der Schulbibliothek werden wir nie vergessen: Ob zum Schmökern in Büchern oder zum gemeinsamen Youtube-Videos-Schauen in der grossen Pause, die Bibliothek war ein beliebter Rückzugsort. Regelmässig kamen ausserdem ganze Schulklassen in den Genuss, sich bei der Papiersammlung der Gemeinde betätigen zu dürfen. Dabei wurde einiges Interessantes im Altpapier entdeckt, was für etwas willkommene Abwechslung während der monotonen Arbeit sorgte.
Das Schuljahr endete jeweils mit einem Höhepunkt: der Kurswoche. In der letzten Woche vor den Sommerferien konnten die Schülerinnen und Schüler aus einem vielfältigen Angebot auswählen. Ob sportliche Abenteuer, kreative Aktivitäten oder kleinere Reisen, für alle war etwas dabei. Am Donnerstagabend nach dem letzten Kurstag machte sich jeder Abschlussjahrgang auf zur inoffiziellen Abschlussparty auf der Mattweid oberhalb von Titterten, um den Abschluss der obligatorischen Schulzeit zu feiern. Nach mehr oder weniger Schlaf fand am Freitagmorgen die offizielle Abschlussfeier mit allen Eltern und die Zeugnisübergabe statt. Damit wurden alle Schüler*innen in die Welt der weiterführenden Schulen und Berufslehren entlassen. Während der akademische Weg über das Gymnasium oder die FMS in Liestal führt, besuchen Berufslernende Berufsschulen im gesamten Kanton oder sogar der ganzen Schweiz. In Basel steht eine von den beiden Basel getragene Universität zur Verfügung und mit dem 2018 eröffneten Campus der Fachhochschule Nordwestschweiz in Muttenz ist auch die Fachhochschule in nächster Nähe ausgebaut worden.
Für den weiteren schulischen und beruflichen Weg legt die Schulzeit in Reigoldswil eine gute Grundlage. Nach neun Jahren Schulzeit in Reigoldswil ist klar, wieso sich die Schule als “klein aber fein” bezeichnet: Das familiäre Umfeld bietet die Möglichkeit, besser auf Bedürfnisse einzugehen und Individuelles zu fördern. Es werden Zusammenhalt und ein verantwortungsvolles Miteinander gelernt und gelebt. Ausgerüstet mit prägenden Erfahrungen und Fähigkeiten verlassen die Schülerinnen und Schüler Reigoldswil so nach der obligatorischen Schulzeit gut vorbereitet auf weitere Herausforderungen.
Beitrag Heimatkunde Reigoldswil zum Thema Sekundarschule, verfasst von Clara Bonk und Céline Gass Anfang 2024
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