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Nahrungsmittel produzieren, Landschaften pflegen und Biodiversität fördern
Der Kernauftrag einer multifunktionalen Branche
Die Schweizer Landwirtschaft hat viele Aufgaben. Nebst der Lebensmittelproduktion pflegt sie die Landschaft, erhält die natürlichen Lebensgrundlagen und sorgt für die dezentrale Besiedelung des Landes. Der Kernauftrag der Bäuerinnen und Bauern ist jedoch die Produktion von Grundnahrungsmitteln. Sie steht in der Bundesverfassung im Art. 104 an erster Stelle und wird von den Reigoldswiler Landwirten vorbildlich umgesetzt. Bei drei Viertel der Betriebe ist die Nahrungsmittelproduktion das Hauptstandbein.
Tierhaltung auf den Reigoldswiler Bauernhöfen
Die Nutztierhaltung ist ein wichtiger Teil der Reigoldswiler Landwirtschaft. Da die meisten Böden nicht oder nur bedingt ackerbaulich nutzbar sind, können sie nur mit raufutterverzehrenden Tieren für die menschliche Ernährung genutzt werden. Deshalb hat sich die Rindviehhaltung schon sehr früh etabliert. Dank dem Strukturwandel konnten sich die meisten Reigoldswiler Betriebe flächenmässig vergrössern, was vielerorts zu Neubauten der Ökonomiegebäude führte.
Zahlen zur Tierhaltung
In Reigoldswil werden auf elf Betrieben zusammen rund 250 Kühe gehalten. Etwa 150 davon werden auf den Betrieben Aemlis, Gorisen, Grien, Gstaad, grosse Marchmatt und Seilern als Milchkühe gehalten. Zusammen produzieren diese rund 730`000 kg Rohmilch pro Jahr. Die abgelieferten Mengen Milch pro Betrieb und Jahr bewegen sich zwischen 110`000 und 160`000 kg. Betrachtet man die Verhältnisse von früher, erscheint der Wandel enorm. Nach dem zweiten Weltkrieg seien es nach Aussage von Hans Räuftlin vom Hof Bärsberg 80 Milchlieferanten gewesen. Gemäss der Aussage von Hans Probst-Scherrer, welcher in der Chesi die Milch entgegennahm, waren es im Jahr 1960 noch 41 Produzenten. Heute sind es noch 6. Die Betriebe Bärsberg, Birchhübel, Eichenhof und Hoggen haben die Milchproduktion eingestellt und auf Mutterkuhhaltung umgestellt. Die Zahl der gehaltenen Mutterkühe beläuft sich auf rund 100 Tiere.
Schweine- und Hühnerhalter gibt es in Reigoldswil nur noch wenige. Die Betriebe Gorisen und Seilern sind die einzigen, die Schweine halten. Hühner werden auf mehreren Betrieben und nur im kleineren Rahmen gehalten. Deutlich zugenommen hat der Pferdebestand. Während 1944 noch 47 Pferde vorwiegend als Arbeitstiere gehalten wurden, waren es 1980 noch rund 20 Tiere. Heute sind es rund 100. Auf vielen Betrieben wurden alte, ungenutzte Rindviehställe oder Scheunen in Pferdeställe umgebaut und als Pensionsplätze für Freizeitpferde vermietet. Das ermöglicht zusätzliche Einnahmen aus Immobilien, welche auf andere Weise nur schlecht genutzt werden können. Ausschlaggebend für die hohe Pferdezahl ist vor allem der Hof Bürten, welcher Platz für rund 60 Pferde bietet.
Vom hohen Standard des Tierwohls und der Administration
Alle Reigoldswiler Bauernbetriebe produzieren nach Label-Standards und übertreffen das Schweizer Tierschutzgesetz, welches eines der strengsten weltweit ist. Automatische Kratzbürsten, Gummimatten, welche abwechslungsreiche Bodenstrukturen schaffen, eingestreute Liegeflächen und tägliche Weidegänge sind auf den Reigoldswiler Rindviehbetrieben Standard. Eine grosse Herausforderung ist die laufende Erhebung sämtlicher Betriebsaktivitäten. Diese Aufzeichnungen werden bei jährlich mehrmaligen Betriebskontrollen von verschiedenen Kontrollorganisationen geprüft. Im Allgemeinen hat die Administration eines Landwirtschaftsbetriebs im Vergleich zu früheren Zeiten um ein Vielfaches zugenommen. Bei Betriebskalkulationen werden dementsprechend rund ein Viertel des Zeitbedarfs für Buchführung und Management eingesetzt.
Verkauf und Absatzkanäle
Die meisten Erzeugnisse fliessen in den Grosshandel oder werden an lokale Händler verkauft. Für kleinere Betriebe oder einzelne Betriebszweige hat sich auch die Direktvermarktung bewährt. Diese Verkaufsstrategie hat sich auf vielen Reigoldswiler Bauernhöfen etabliert. Besonders Rind-, Schweine- und Schaffleisch werden direkt ab Hof angeboten. Ebenfalls können in mehreren kleineren Reigoldswiler Hofläden Produkte wie Eier, Konfitüren, Sirup und anderes gekauft werden.
Futter- und Ackerbau an den Hängen von Reigoldswil
Das Klima, die Topografie und die Bodenbeschaffenheit führten dazu, dass sich die meisten Reigoldswiler Bauernbetriebe auf die Raufutterproduktion spezialisierten. Während in der Vegetationszeit rund ein Viertel der Reigoldswiler Flächen mit Kühen und Rindern beweidet werden, dienen die restlichen Flächen mehrheitlich der Produktion von Grassilage und Dürrfutter. Lediglich sieben Prozent werden ackerbaulich genutzt.
Die Entwicklung der Mechanisierung
Seit dem Aufkommen von Traktoren und Anbaugeräten, hat sich die Landtechnik stetig verbessert. Im Allgemeinen wurde sie effizienter und komfortabler. So werden heute auf den Reigoldswiler Flächen Mähwerke mit Mähbreiten von drei bis neun Metern sowie Doppelschwader und Ladewagen mit Fassungsvermögen über 30m3 eingesetzt. Diese Entwicklung ermöglichte es, dass heute grosse Flächen in kürzerer Zeit bewirtschaftet werden können. Grosse Maschinen erforderten aber auch Investitionen in leistungsfähigere Traktoren. Auf vielen Reigoldswiler Betrieben fährt mindestens ein Traktor, der über 100 PS hat und mit Kabine und Klimaanlage ausgestattet ist.
Wirtschaftlicher Druck
Trotz der Entwicklung hin zu Schnelligkeit und Effizienz lässt es der wirtschaftliche Druck nicht mehr zu, kleinere und aufwändig zu bewirtschaftende Parzellen zu mähen. Deswegen werden diese Flächen mittlerweile nur noch beweidet. Ähnliches trifft auch auch für den Ackerbau zu. Flachgründige, steinige oder lehmige Böden werden aus wirtschaftlichen Gründen nicht mehr gepflügt. Die Pflanzenbestände werden auf solchen Flächen, wie auch auf den restlichen Dauergrünlandflächen mit Übersaaten verbessert. Hierfür wurden spezielle Sämaschinen entwickelt, welche in Reigoldswil oft überbetrieblich eingesetzt werden.
Zusammenarbeit
Nebst den Heuerntemaschinen, welche oft betriebsintern eingesetzt werden, gibt es unter den Reigoldswiler Landwirten viele Maschinengemeinschaften. So können Kosten geteilt und Maschinen besser ausgelastet werden. Arbeiten wie Säen, Siloballenpressen oder Gülle ausbringen werden von immer mehr Betrieben an regionale Lohnunternehmen vergeben, welche effizient arbeiten und dadurch kostengünstige Angebote unterbreiten können.
Zahlen zum Futter- und Ackerbau
Die Reigoldswiler Bauern bewirtschaften rund 450 Hektaren landwirtschaftliche Nutzfläche. Auf rund drei Viertel der Fläche wird Futter für die Winter- und Stallfütterung angebaut und konserviert.
Einzelne Betriebe spezialisierten sich in der Dürrfutterproduktion und investierten beim Stallneubau in Warmluftheubelüftungen. Jedoch hat sich auf Grund der Möglichkeit, kurze Schönwetterperioden mit wenig Personal auszunutzen und nur tiefe Lagerkosten in Kauf nehmen zu müssen, die Konservierung in Form von Silage-Rundballen etabliert. Rund drei Viertel der Betriebe verwenden diese Konservierungsform und sind teilweise im Besitz einer eigenen Rundballenpresse. Diese kann auch im Ackerbau zum Pressen der Strohballen eingesetzt werden. Ackerbaulich genutzt werden nur 30 Hektaren. Darauf angebaut werden rund 10 Hektaren Silomais und 20 Hektaren Getreide, wovon die grösste Fläche mit Winterweizen angesät wird. Vereinzelt werden auch Wintergerste, Triticale sowie Dinkel und Hartweizen angebaut.
Landverlust durch Verwaldung und Verbauung
Durch Wohnbauten, Industriebetriebe und den Ausbau des Strassennetzes wird der landwirtschaftlichen Produktion viel wertvoller Boden entzogen. Das ist auch in Reigoldswil nicht anders. Bei fast konstanter Einwohnerzahl hat sich in Reigoldswil die Wohnzone mehr als verdoppelt. Weitere Landverluste entstehen durch die Verwaldung. Besonders in steilem Gelände können Waldränder nicht maschinell zurückgeschnitten werden. Mangels Zeit für die Pflege ist der Waldrand an solchen Orten bereits mehrere Meter herausgewachsen.
Biodiversitätsförderung auf den Reigoldswiler Wiesen
Auf den verbleibenden Flächen, welche landwirtschaftlich genutzt werden, besteht der Druck hin zu mehr Artenschutz für selten gewordene Amphibien-, Reptilien-, Insekten- und auch Pflanzenarten. Diese Forderung an die Landwirtschaft ist berechtigt. Die fehlenden Insekten am Töffhelmvisier oder der verschwundene Ruf des Kuckucks lassen erahnen, dass das Artensterben auch vor Reigoldswil nicht Halt macht. Die Landwirtschaft ist mehr denn je gefordert, für die Biodiversität und den Artenschutz einzustehen. Auf vielen Betrieben werden ökologisch wertvolle Blumenwiesen gepflegt, Bäume, Hecken und Buschgruppen gepflanzt und in neuster Zeit auch Ast- und Steinhaufen für den Schutz von allerlei Kleinlebewesen errichtet. Damit die Biodiversitätsflächen optimiert und an geeigneten Orten ausgebaut werden können, braucht es aber auch die nötigen politischen Rahmenbedingungen, sprich genügend finanzielle Unterstützung. Die Pflege der einzelnen Ökoelemente ist aufwändig und kann von den Bauernbetrieben nur umgesetzt werden, wenn sich die Arbeit zugunsten der Biodiversität auszahlt. Viele Reigoldswiler Bauernfamilien fühlen sich jedoch moralisch verpflichtet und leisten bereits heute einen grossen Beitrag für den Natur- und Umweltschutz.
Obstbau im einstigen «Chirsiland»
Die Nordwestschweiz und besonders das Baselbiet gilt als «Chirsiland» der Schweiz. Mehr als die Hälfte der Schweizer Kirschen werden hier gepflückt. Für viele Reigoldswiler Landwirte waren die Kirschbäume früher eine wichtige Einnahmequelle. Das hat sich geändert. Da die Betriebe gewachsen sind und sich mehrheitlich auf die Rindviehhaltung konzentriert haben, wurden viele Bäume aus arbeitstechnischen Gründen gefällt. Zum einen fallen die Arbeitsspitzen der Dürrfutterernte und die der Kirschenernte zusammen und zum anderen lassen sich Flächen mit Bäumen weniger effizient bewirtschaften. Ausser dem Obstbetrieb Niestelen gibt es nur wenige Betriebe, auf denen Obst produziert wird. Sporadisch und in eher kleinen Mengen werden von Bio-Betrieben Zwetschen in den Handel gebracht. Dank Direktzahlungen, welche die Pflege und den Erhalt von Hochstammbäumen fördern, stehen in Reigoldswil noch immer rund 3000 Obstbäume. Jährlich werden 20 bis 30 Jungbäume gepflanzt, aber auch mindestens ebenso viele Bäume gefällt.
Beitrag Heimatkunde Reigoldswil zum Thema Landwirtschaft von Yannick Steffen, verfasst im Februar 2023