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Ruth Fontana 1925 - 1990
Fräulein Fontana – sie wollte nie anders genannt werden – hat drei Generationen von Reigoldswilern in vielen Lebenslagen begleitet. Das begann bei der Geburt. Als Hebamme leitete sie zusammen mit Dr. Tanner alle Hausgeburten in Reigoldswil und oft auch in den angrenzenden Dörfern. Gemeinsam haben sie bis zu dreissig Hausgeburten pro Jahr betreut.
Zu Ruth Fontanas Aufgaben gehörte die Säuglingsfürsorge und die Ernährungsberatung. Ihre Erfahrung im Umgang mit Neugeborenen und Kleinkindern vermittelte sie mit viel Engagement und bot den jungen Müttern ein Gefühl von Sicherheit. Sie beriet sie mit grosser Kompetenz beim Aufbau der Nahrung nach der Stillzeit und kontrollierte das Gedeihen der Kinder, deren Grössen- und Gewichtszunahme und ihre altersgemässe Entwicklung. Ein Arzt musste nur bei grösseren Problemen beigezogen werden.
Als ich als junger Arzt, der früher auch in der Universitätskinderklinik gearbeitet hatte, nach Reigoldswil kam, war mir die Masernimpfung – damals im oberen Baselbiet noch nicht üblich – ein grosses Anliegen. Ruth Fontana mit ihrer eher anthroposophischen Ausrichtung war die moderne Masern-Mumps-Rötelnimpfung eher suspekt. Wir trafen uns in ihrer Wohnung und diskutierten am Küchentisch intensiv über einen Kompromiss: Ich war einverstanden, auf die Mumpsimpfung vorerst zu verzichten und die Rötelnimpfung für Mädchen erst in der 4. Klasse durchzuführen, sie unterstütze mich dafür mit der Empfehlung der Masernimpfung für alle Kinder. Dafür beliess ich die halbe Zwiebel im Kinderbettli, welche sie am Kopfende hineinlegte, um Bakterien abzuwehren. Unsere Zusammenarbeit funktionierte über viele Jahre absolut harmonisch.
Eine weitere Besonderheit in Reigoldswil war, dass Fräulein Fontana in der Schule ein festes Unterrichtspensum hatte: Sie beriet die Mädchen in Gesundheitslehre und Hygiene und bereitete sie anhand von Puppen auf ihre spätere Rolle als Mütter vor. Buben hatten in dieser Zeit Unterricht im Werken mit Holz.
Eine weitere Tätigkeit war das Massieren. Ihre Massagen, auch ihre Fussreflexzonenmassagen, waren sehr geschätzt. Auch zur häuslichen Pflege von Schwerkranken war sie immer bereit und unterstützte die Familien mit Hingabe und grosser Erfahrung.
Wenn jemand zuhause starb – wie das früher noch üblich war – konnte sie Tag und Nacht gerufen werden, wie auch der Arzt, welcher den Tod amtlich bestätigen musste. Sie half beim Waschen und Einkleiden der Verstorbenen und hatte auch immer ein Totenhemd dabei, eines für einen Mann, eines für eine Frau. Als wir einmal zusammen am Totenbett eines plötzlich verstorbenen kräftigen Mannes standen, schien uns das mit pastellfarbenen Rüscheln besetzte Totenhemd wirklich nicht passend. Wir schlugen deshalb vor, den Sonntagsanzug des Verstorbenen zu holen und ihn so einzukleiden. Das ergab ein würdiges Aussehen und wurde bei späteren Todesfällen zur Regel.
Ruth Fontana war in Reigoldswil eine unbestrittene Autorität in allen diesen Fragen, auch in moralischen. Sie erfüllte ihre Aufgaben mit Hingabe und Empathie und gegen bescheidenes Entgelt. Wenn wir uns vergegenwärtigen, wie viele Fachleute es heute braucht, um alle diese Aufgaben zu erfüllen, dann bleibt eine grosse Bewunderung für ihr vielseitiges Wirken.
Beitrag Heimatkunde Reigoldswil zum Thema Gesundheit, verfasst von Ruedi Isler Anfang 2023
Zum Projekt im Ganzen: Danke!
Mein Dank richtet sich an die für das Projekt Verantwortlichen und an die an ihm Teilnehmenden gleichermassen. Und es ist der Dank eines Menschen, der für sich selber schon vor längerer Zeit das Oxymoron der «Fremden Heimat»/«Heimatlichen Fremde» gefunden hat. Das war in Swansea, in Südwales, wo wir, meine Partnerin Loreto Núñez und ich, 2007 für neun Monate lebten. Ich fühlte mich dort vom Beginn unseres Aufenthaltes an «daheim», so wie ich mich hier in Bern, wo ich dies schreibe, «daheim» fühle, und an unzähligen anderen Orten. «Daheim» in einer «Heimat», die mir allerdings nicht selten auch etwas «fremd» erscheint.
In Swansea war ich nach unserem ersten Aufenthalt noch mehrere Male, zusammen mit meiner Tochter Jelena, einmal in Begleitung einer ihrer Cousinen, und bei jedem Ankommen dort fühlte ich so eine Art «Heimkommen».
Von meinem wohl wichtigster Lehrer in Philosophie, Ernst Bloch, stammt der berühmte Satz von der Heimat, die uns in die Kindheit scheint – und in der noch niemand wirklich war. Bloch war ein Utopist; sein Heimatbegriff ist eine Utopie. Als kritischer Schüler halte ich dagegen mit meiner «Fremden Heimat»/»Heimatlichen Fremde», in der ich sehr gerne, dankbar und glücklich, lebe, einmal dort, einmal hier. Ohne Sinn für abgehobene Utopien. Wobei Ernst Bloch natürlich Recht hat, mit seinem Hinweis auf die Bedeutung der Kindheit! Der Ort, an dem wir unsere Kindheit verbrachten, bleibt immer ein ganz besonderer Ort – lebenslänglich.
Ganz besonders dankbar bin ich für den Film von Hans Probst-Grossglauser. Er berührt mich tief, ist doch Schwester Winifred eine der ganz wichtigen Frauen in meinem Leben. Ich erlebte sie als Ordensfrau ohne religiösen Missionsauftrag. Ihre Liebe zu uns Kindern hat sie wohl kaum als «Mission» verstanden; sie war einfach so, selbstverständlich: lieb zu allen Kindern gleichermassen.
So habe ich sie in Erinnerung. . . Durch den Film konnte ich sie jetzt meiner Partnerin, und auch unserem gemeinsamen Buben, Santiago, zeigen. (Santiago, übrigens, hatte auch Glück mit seinen Kindergärtnerinnen.)
Ich war ein überaus verwöhntes Kind, nicht zuletzt die Liebe betreffend. Familiär und eben auch über die Familie hinaus.
Eine Kalendergeschichte von Johann Peter Hebel erzählt von einem unverhofften Wiedersehen.
https://www.deutschunddeutlich.de/contentLD/GD/GT75hWiedersehen.pdf
Es ist eine wahre Geschichte. Für Ernst Bloch «die schönste Liebesgeschichte der Welt».
Nun, das unverhoffte Wiedersehen mit Schwester Winifred ist nicht weniger wahr, möglich wurde es durch den Film von Hans Probst und dem Projekt Heimatkunde Reigoldswil.
Nicht weniger unverhofft war das Wiedersehen mit Ruth Fontana, mit der Frau, die mir auf die Welt geholfen hat. Ich war vermutlich eine Frühgeburt, lanugobehaart, drei Pfund leicht. Das war vor der Zeit von Hans Tanner; Robert Dürrenberger war vermutlich dabei. Er fuhr einen roten Triumph, später jedenfalls.
Ich habe Ruth Fontana nie «Fräulein» genannt, so wenig sie mich je «Herr Zehntner» genannt hätte. Wir haben uns aber auch nicht geduzt, nicht explizit. Wir liessen das offen, wobei wir dem Du zweifellos näher waren als dem «Fräulein» und dem «Herrn». Als «anthroposophisch» habe ich sie nie empfunden. Wie ich, hatte sie ein Aquarium, dadurch hatten wir später miteinander zu tun. Wir beide hatten Schwertträger (Xiphophorus helleri), eine Gattung der Lebendgebärenden Zahnkarpfen. Ich hatte einen «Brutkasten». Den hab ich ihr einmal ausgeliehen.
Der Schwertträger war damals schon so eine Art «LGBTQ» - oder «Gender-Fisch» avant la lettre, weil der Mythos umging, Schwertträger-Weibchen könnten sich in Schwertträger-Männchen verwandeln. Wir, Ruth Fontana und ich, glaubten dies allerdings nie. Sie mag ihre Bedenken gegen diese «Masern-Mumps-Rötelimpfung» gehabt haben, worüber wir, notabene, nie gesprochen haben, doch habe ich sie als sehr vernünftige Frau in Erinnerung. (Gegen Mumps und Röteln wurde ich meines Wissens selber nie geimpft. Wie auch meine Kinder nicht.) Womit ich mich keinesfalls als «Impfgegner» zu erkennen geben möchte. Vor Santiagos Geburt habe ich mich vorsorglich gegen Keuchhusten impfen lassen, im jüngstvergangenen Winter zum ersten Mal gegen Grippe . . .
Ich mag Hebammen, und – Mäeutik «Hebammenkunst».
Christoph Zehntner, Pestalozzistrasse 28, 3007 Bern