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Ärztliche Versorgung
Damit ein Dorf Zentrumsfunktion erfüllen kann, sollten folgende Voraussetzungen gegeben sein: Es braucht eine Schule mit allen Klassenstufen bis zum Ende der obligatorischen Schulzeit, eine gute Anbindung an den öffentlichen Verkehr, Einkaufsmöglichkeiten für den täglichen Bedarf und eine medizinische Grundversorgung im Dorf. Reigoldswil ist somit ein Zentrumsdorf.
Seit dem frühen 19. Jahrhundert hatte Reigoldswil immer eine Arztpraxis mit einem ausgebildeten Hausarzt. 1840 eröffnete Dr. Hans Ulrich Zehntner im Haus zum Reifenstein eine Hausarztpraxis, auf ihn folgte Dr. Reinhard Erzer. Dr. Robert Dürrenberger praktizierte anschliessend im früheren Schulhaus unterhalb der Kirche.
1964 eröffnete Dr. Hans Tanner eine neue Praxis im alten Bauernhaus Hübeli im Unterbiel. Wegen der immer grösseren Arbeitslast erweiterte er die Praxis 1976 zu einer Doppelpraxis, zusammen mit Dr. Ruedi Isler. Dass zwei Ärzte gemeinsam in einer Praxis arbeiten (es war die erste Gemeinschaftspraxis im Kanton Baselland), wurde damals von der kantonalen Ärztegesellschaft mit Argwohn und Missbilligung zur Kenntnis genommen. Man sah dadurch das Arztgeheimnis in Gefahr. Heute ist die Zusammenarbeit von mehreren Ärzten in gemeinsamen Praxen eine Selbstverständlichkeit.
Das Einzugsgebiet der Praxis umfasste nicht nur Reigoldswil. Aus allen Dörfern des Schulkreises wurden hier Patienten betreut und bei Bedarf zu Hause besucht. Auch die schulärztlichen Untersuchungen in sechs Dörfern gehörten zum Aufgabenbereich der Praxis.
Bis in die 70er-Jahre war ein Hausarzt noch für sämtliche medizinischen Gebiete zuständig und auch ausgebildet. Mit der Zunahme der medizinischen Möglichkeiten drängte sich für Ärzte immer mehr eine gewisse Spezialisierung auf, je nach Schwerpunkt der vorher absolvierten Weiterbildung in den Spitälern. So war Dr. Tanner für sämtliche Geburten zuständig – es waren bis zu 30 im Jahr – und Dr. Isler für die Betreuung der Neugeborenen und Kleinkinder. Die übrigen Gebiete der Medizin deckten sie gemeinsam ab.
Hausbesuche waren zu dieser Zeit selbstverständlich und tägliche Routine. Viele nicht mehr mobile Patientinnen und Patienten wurden durch Angehörige und mit nachbarschaftlicher Hilfe zu Hause gepflegt. Mit der Eröffnung des Alters- und Pflegeheims in Reigoldswil änderte sich 1982 vieles: Immobile, Pflegebedürftige und zunehmend auch demente Menschen werden im APH Moosmatt betreut und nicht mehr zu Hause. Viele Hausbesuche fallen dadurch weg. Des Weiteren trugen die zunehmende Auto-Mobilität der Bevölkerung und die umfangreicheren medizintechnischen Möglichkeiten (Labor, Röntgen, Ultraschall) dazu bei, dass die Konsultationen nun mehrheitlich in der Praxis stattfanden.
An dieser Stelle darf eine besondere Persönlichkeit in Reigoldswil nicht unerwähnt bleiben: Ruth Fontana (1925 bis 1990). Fräulein Fontana – sie wollte nie anders genannt werden – hat das Leben von zwei Generationen von Reigoldswilerinnen und Reigoldswiler mitgeprägt. Als Hebamme leitete sie zusammen mit Dr. Tanner alle Geburten und sie begleitete die jungen Mütter als Säuglings- und Ernährungsberaterin. In der Schule hatte sie ein festes Unterrichtspensum. Sie beriet die Mädchen in Gesundheitslehre und Hygiene und bereitete sie mit Hilfe von Puppen auf ihre spätere Rolle als Mutter vor. Eine weitere Tätigkeit war das Massieren: Ihre Massagen waren begehrt und geschätzt. Auch bei der häuslichen Pflege von Schwerkranken konnte sie immer beigezogen werden. Wenn jemand - wie das früher üblich war - zuhause starb, konnte sie Tag und Nacht gerufen werden, ebenso wie der Arzt, der den Tod amtlich bestätigen musste. Sie half beim Waschen und Einkleiden der Verstorbenen und hatte auch immer ein Totenhemd dabei.
Ruth Fontana bei einer Hausgeburt
Die Gemeinschaftspraxis hat sich weiterentwickelt: Nach der Pensionierung von Dr. Tanner im Jahr 1992 wurde die Praxis umgebaut und räumlich erweitert. Von da an dann arbeiteten zwei Ärztinnen (Frau Dr. Stoercklé und Frau Dr. Zimak) und zwei Ärzte (Dr. Isler und Dr. Meier, später Dr. Lehmann) in der Praxis, die jetzt neben dem erweiterten Labor und dem Röntgengerät auch weitere Untersuchungsmöglichkeiten wie Ultraschall und Lungenfunktionsprüfungen im Angebot hat.
Unterdessen hat sich auch Liestal zu einem medizinischen Zentrum entwickelt mit einem modernen Spital und Spezialärzten im Spital und in vielen Spezialarztpraxen. Eine wichtige Aufgabe des Hausarztes ist die Zusammenarbeit mit diesen Spezialärzten und die Auswahl des geeigneten Spezialisten für das jeweilige Problem einer Patientin oder eines Patienten. Mehr als 80% der Gesundheitsprobleme der Patienten können aber weiterhin in der Hausarztpraxis gelöst werden.
Die Praxis ist auch immer ein Ausbildungsbetrieb gewesen und hat seit Bestehen der Gemeinschaftspraxis schon ungefähr 30 junge Frauen zu Medizinischen Praxisassistentinnen ausgebildet. Auch Medizinstudentinnen und -studenten werden in der Praxis ausgebildet. Das Praxisteam ist unterdessen auf mehr als zwölf Mitarbeitende angewachsen.
Die jetzige Hausarztpraxis Reigoldswil mit Dr. Manggold, Dr. Lehmann und Frau Dr. Häuptle als Fachärzte für Allgemeine Innere Medizin und Frau Dr. Ankli als Kinderärztin platzt räumlich aus allen Nähten und wird hoffentlich in naher Zukunft neue, grössere und modernere Praxisräumlichkeiten beziehen können und damit sie auch in Zukunft dem Zentrumsdorf Reigoldswil eine moderne und qualitativ hochstehende medizinische Grundversorgung vor Ort bieten kann.
Beitrag Heimatkunde Reigoldswil zum Thema Gesundheit, verfasst von Ruedi Isler Anfang 2023